Newsletter #4

Fortbildung Prof. Abella

Mario Castro – Privat Praxis für Endodontie und Mikroskopzahnheilkunde Wien

ENDODONTISCHE DIAGNOSE

Geschichtlich gesehen hat es eine Vielzahl von diagnostischen Klassifizierungssystemen gegeben welche eingesetzt wurden um endodontische Krankheitsbilder zu beschreiben [1]. Leider basierten viele davon auf histopathologischen Befunden und nicht klinischen Befunden, welche oft Verwirrung stifteten, eine in die Irre führende Terminologie und inkorrekte Diagnosen hervorbrachten [2]. Einer der Hauptgründe für die Erstellung einer pulpalen und periapikalen Diagnose ist, herauszufinden welche klinische Behandlung notwendig ist [3,4]. Wird zum Beispiel eine inkorrekte Evaluierung vorgenommen, kann dies zu einer ungeeigneten Behandlung führen, darunter die Durchführung einer endodontischen Behandlung, obwohl diese nicht notwendig ist bzw. die Auslassung einer notwendigen Behandlung oder Ausführung einer anderen Behandlung in einem Fall indem eine Wurzelbehandlung wirklich angebracht ist. Ein weiterer wichtiger Grund für die Schaffung eines universellen Klassifizierungssystems ist eine Kommunikationsstelle zu schaffen auf deren Basis Professoren, Ärzte, Studenten und Wissenschaftler sich austauschen können. Ein simples und praktisches System, welches eine Terminologie klinischer Befunde benutzt ist unentbehrlich und wird Ärzten helfen fortschreitende Eigenschaften von Erkrankungen im Bereich der Pulpa und des perikapikalen Bereichs zu verstehen und jedem von ihnen mit der geeigneten Behandlung Abhilfe zu schaffen.

2008 veranstaltete die American Association of Endodontists (AAE) eine Konsens-Konferenz um die in der Endodontie verwendeten diagnostischen Termini zu vereinheitlichen [1]. Das Ziel lag darin allgemeingültige Empfehlungen bezüglich endodontischer Diagnosen auszuarbeiten; eine standardisierte Definition der diagnostischen Grundtermini zu erstellen , welche allgemein von Endodontologen, dritten Parteien, Allgemeinen (Zahn)ärzten und andere (Zahn)Spezialisten sowie Studenten akzeptiert würde; sowie Unklarheiten zu beseitigen bezüglich der Überprüfung und Auswertung von Resultaten; und schließlich die Festlegung von Kriterien im Röntgenbereich, bei objektiven Testergebnissen und bezüglich klinischer Kriterien zur Bestätigung der diagnostischen Termini welche auf der Konferenz ausgearbeitet wurden.

Sowohl die AAE als auch das American Board of Endodontics haben diese Termini akzeptiert und empfehlen ihre Anwendung in allen zahnärztlichen Bereichen und Sparten des Gesundheitsbereiches [5,6,7]. Jeder der folgenden diagnostischen Termini wird durch die ihm typischen, jeweiligen klinischen und per Röntgen sichtbaren Eigenschaften definiert, in Kombination mit Fallbeispielen, sollten diese hilfreich sein.  In jeden Fall müssen sich die Ärzte darüber klarwerden, dass Krankheiten der Pulpa und des periapikalen Bereiches dynamisch verlaufen und fortschreiten und als solche die Anzeichen und Symptome je nach Stufe der Erkrankung und Patienten Status variieren können. Damit einher gehen die Begrenzungen der gegenwärtigen Pulpa Testverfahren und der klinischen sowie röntgenbasierten Untersuchungstechniken.

Um eine anständige Behandlung zu gewährleisten muss eine komplette endodontische Diagnose sowohl eine Analyse der Pulpa als auch des periapikalen Bereiches beinhalten, und zwar für jeden betroffenen Zahn.

Untersuchung und diagnostische Prozeduren

Endodontische Diagnosestellung ähnelt der Zusammensetzung eines Puzzles: Man kann nicht anhand eines einzelnen isolierten Stückes Information eine Diagnose erstellen [4]. Der Arzt muss systematisch alle notwendigen Informationen zusammentragen um eine „wahrscheinliche“ Diagnose zu erstellen. Bei der Erstellung der medizinischen und zahnärztlichen Vorgeschichte, sollte der Arzt bereits gedanklich eine vorläufige aber logische Diagnose stellen, vor allem, wenn eine Hauptbeschwerde vorliegt. Die klinischen und radiographischen Untersuchungen in Kombination mit einer gründlichen parodontalen Auswertung und klinischen Tests (Pulpa und periapikaler Bereich) werden dann benutzt um die vorläufige Diagnose zu bestätigen [4]. In manchen Fällen, sind die klinischen und röntgentechnischen Untersuchungen uneindeutig oder ergeben widersprüchliche Resultate, weshalb keine endgültige Pulpa bezogenen und periapikalen Diagnosen erstellt werden können. Es ist ebenfalls wichtig zu erkennen, dass die Behandlung nicht ohne Diagnose erfolgen sollte und der Patient notwendigerweise auf eine erneute Evaluierung seines Zustandes warten muss oder an einen Endodontologen überwiesen werden muss (Tab.1).

Tab.1

Erforderliche Untersuchungstechniken für eine endodontische Diagnosestellung [8]

Zahn-/medizinische Vorgeschichtevergangene/gegenwärtige Behandlungen, Medikamente
Hauptbeschwerde (sofern vorhanden)Wie lange, Symptome, Dauer der Schmerzen, Ort, Fortgang, Stimuli, Erleichterung, strahlt es, Medikamente  
Klinische UntersuchungGesichtssymmetrie, Sinus Trakt, Softgewebe, periodontaler Status (probing, Mobilität), Karies, Restaurationen (undichte, neue?)
Klinische Tests:                Pulpatests                                                                         Kälte, Hitze, elektrischer
               Periapikale TestsPerkussion, Abtasten (Berührung), Zubeißen
RöntgenanalyseNeue periapikale Filme (mind.2), Bissflügel, Datenvolumentomografie
Zusätzliche TestTransilumination, selektive Anästhesie

Diagnostische Terminologie, anerkannt durch die American Association of Endodontists und durch die American Board of Endodontics [5-7]

Pulpa Diagnosen [9-14]

Normale Pulpa ist eine klinische Diagnosekategorie in der die Pulpa symptomfrei vorliegt und normal auf die Pulpatests reagiert.  Obwohl die Pulpa nicht unbedingt histologisch normal sein kann, kann eine „klinisch“ normale Pulpa eine schwache oder vorübergehende Reaktion auf Hitze/Kälte-Tests zeigen (thermal cold testing), welche nicht länger als ein oder zwei Sekunden nach Entfernung des Stimulus anhält.

Man kann keine wahrscheinliche Diagnose stellen ohne den betroffenen Zahn mit anliegenden und gegenüberliegenden Zähnen zu vergleichen. Am besten ist es die anliegenden und gegenüberliegenden Zähne zuerst zu testen, so dass der Patient sich mit dem Gefühl einer normalen Reaktion auf Kälte vertraut macht.

Reversibel Pulpitis basiert auf subjektiven und objektiven Befunden, welche darauf hinweisen, dass die Entzündung zurückgehen sollte und die Pulpa durch die geeignete Behandlung der Krankheitsursache wieder zum Normalzustand zurückkehrt.

Unwohlsein tritt dann auf, wenn ein Stimulus wie „kalt“ oder „süß“ angewandt wird und innerhalb von Sekunden nach Entfernung wieder verschwindet. Typische Krankheitsursachen sind freiliegendes Dentin (Dentin Überempfindlichkeit), Karies oder tiefe Restaurationen.

Es liegen auf Röntgenaufnahmen keine bedeutenden Unterschiede in der periapikalen Region des möglicherweise betroffenen Zahnes vor und die erlebten Schmerzen sind nicht spontaner Natur. Bei richtiger Herangehensweise zur Behandlung der Krankheitsursache (zB. Karies-Entfernung plus Restauration; Abdeckung des freigesetzten Dentins), erfordert der Zahn weitere Evaluierung um festzustellen ob die „reversibel Pulpitis“ sich wieder im Normalzustand befindet. Obgleich Dentin-Übersensibilität per se kein entzündlicher Prozess ist ähneln all ihre Symptome denen einer reversibel Pulpitis.

Symptomatische irreversibel Pulpitis basiert auf subjektiven und objektiven Befunden die besagen, dass die vitale, entzündete Pulpa wieder heilen kann und eine Wurzelkanalbehandlung angeraten ist. Als Anzeichen können starke Schmerzen, ausgelöst durch thermale Stimuli, auftreten. Ebenfalls können auftreten: anhaltende Schmerzen (meist 30 Sekunden oder länger nach Entfernung des Stimulus), Spontanschmerzen oder nicht-lokale Schmerzen (Schmerzen, die an einem anderen Ort als der Stelle auftreten, die betroffen ist). In manchen Fällen werden die Schmerzen durch Haltungswechsel verstärkt, so zum Beispiel durch Niederlegen oder Vorwärtsbeugen und rezeptfreie Schmerzmittel sind üblicherweise unwirksam. Zu den herkömmlichen Krankheitsursachen zählen u.A. tiefliegender Karies, großflächige Restaurationen oder Frakturen, welche das Pulpagewebe freilegen. Die Diagnose im Fall von Zähnen mit symptomatischer unumkehrbarer Pulpitis kann schwierig sein, da die Entzündung noch nicht das periapikale Gewebe erreicht hat und daher keine Schmerzen oder Unwohlsein bei Perkussion zeigt.  In solchen Fällen sind die Auswertung der zahnärztlichen Vorgeschichte sowie Kälte- und Wärmetests die erste Wahl in der Evaluierung des Pulpazustandes.

Asymptomatische irreversibel Pulpitis ist eine klinische Diagnose basierend auf subjektiven und objektiven Befunden welche darauf hinweisen, dass die vitale, entzündete Pulpa in der Lage ist zu heilen und eine Wurzelbehandlung angebracht ist. Diese Fälle zeigen keine klinischen Symptome und reagieren üblicherweise normal auf Wärmetests, können allerdings ein Trauma erlebt haben oder tiefe Karies tragen, welche wahrscheinlich zu einer Freilegung der Pulpa nach Entfernung führen würden.

Pulpa Nekrose ist eine klinische Diagnosekategorie welche den Tod der dentalen Pulpa und die Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung indiziert.  Die Pulpa reagiert nicht auf Pulpatests und ist asymptomatisch. Pulpa Nekrose selbst verursacht keine apikale Periodontitis (Schmerzen bei Perkussion oder Röntgenbeweis für Knochenabbau) es sei denn der Kanal ist infiziert.

Manche Zähne reagieren nicht auf Pulpatests aufgrund von Verkalkung, kürzlich erlebtem Trauma bzw. manchmal reagiert der Zahn schlicht und einfach nicht. Wie bereits vorher erwähnt, ist dies der Grund warum alle Tests vergleichender Natur sein müssen (zB. könnte ein Patient auf keinem der Zähne auf Thermale Test reagieren).

Previously Treated (Vorbehandelt) ist eine klinische Diagnosekategorie, die indiziert, dass der Zahn endodontisch behandelt wurde und die Kanäle mit verschiedenen Füllungsmaterialien sowie intrakanalen Medikamenten abgefüllt worden sind. Der Zahn reagiert üblicherweise nicht auf Kälte- und Wärmetests oder elektrische Pulpatests.

Previously Initiated Therapy (Vorherige begonnene Therapie) ist eine klinische Diagnosekategorie welche indiziert, daß der Zahn teilweise endodontisch vorbehandelt wurde z.B durch Pulpotomie oder Pulpektomie. Je nachdem in welcher Phase sich die Therapie befindet, kann der Zahn auf Pulpatests reagieren oder nicht.

Apikal Diagnosen [9-14]

Normales apikales Gewebe reagiert nicht sensibel auf Perkussion oder Berührungstests. Röntgentechnisch gesehen, ist die „lamina dura“ welche die Wurzel umgibt intakt und der parodontale Gewebebereich ist einheitlich. Wie bei Pulpatests sollten die vergleichenden Perkussions- und Berührungstests immer an normalen Zähnen als Ausgangspunkt für den Patienten begonnen werden.

Symptomatische apikale Parodontitis weist gewöhnlich eine Entzündung des apikalen Periodontiums aus, und ruft klinische Symptome wie eine schmerzhafte Reaktion aufs Zubeißen und/oder Perkussion oder Berührung hervor.   Dies kann aber muss nicht mit auf Röntgenbildern erkennbaren Veränderungen einhergehen (abhängig von der Stufe der Erkrankung kann die Breite des parodontalen Gewebes normal sein oder periapikale Strahlungsdurchlässigkeit zeigen). Starke Schmerzen bei Perkussion und/oder Berührung weist in hohem Maß auf das Vorhandensein degenerativer Pulpa sowie die Notwendigkeit einer Wurzelbehandlung hin. 

Asymptomatische apikale Parodontitis ist eine Entzündung und Zerstörung des apikalen Periodontiums pulpaler Herkunft. Es erscheint als apikale Strahlungsdurchlässigkeit und weist keine klinischen Symptome auf (keine Schmerzen bei Perkussion oder Berührung).

Chronischer apikaler Abszess ist eine entzündliche Reaktion bei pulpaler Infektion und Nekrose mit graduellem Fortschreiten. Es herrscht kein oder nur geringes Unwohlsein und eine periodische Absonderung von Eiter über einen umliegenden Sinustrakt.  Röntgenologisch sieht man Zeichen von Knochenschwund in Form von Strahlungsdurchlässigkeit. Um die Quelle eines leckenden Sinustraktes festzustellen, sofern diese vorhanden ist, wird vorsichtig bis zum Anstoß eine Guttapercha Spitze durch das Stoma geführt und danach eine Röntgenaufnahme gemacht.

Akuter apikaler Abszess ist eine entzündliche Reaktion bei pulpaler Infektion und Nekrose, welche durch schnelles Fortschreiten, spontan auftretende Schmerzen, extreme Überempfindlichkeit des Zahnes bei Druck, Eiterausbildung und Anschwellen des umliegenden Gewebes charakterisiert wird. Möglicherweise liegen keinerlei auf den Röntgenaufnahmen ersichtliche Zeichen von Zerstörung vor und der Patient erfährt oft Unwohlsein, Fieber und Lymphadenopathie.

Kondensierende Ostitits ist eine diffuse und röntgendichte Verletzung mit lokalisierter ossaler Reaktion auf einen niedrig gradigen entzündlichen Stimulus und wird für gewöhnlich an der Wurzelspitze beobachtet.

Fazit für die Praxis

-Ziel der pulpale und periapikale Diagnosestellung ist die best mögliche Behandlung unsere Patienten anzubieten.

-Ohne eine endgültige Diagnose sollte keine Behandlung erfolgen.

-Oft ist es besser den PatientInnen zu überweisen. Endodontie ist nicht mehr stiefmütterlich zu betrachten. Es sollte unser aller wichtigstes Gebot Zähne zu erhalten und nicht diese zu extrahieren.

-Endodontie funktioniert, vorausgesetzt wir erstellen eine richtige Diagnose und die Behandlung erfüllt alle Kriterien.

Literatur

1. Glickman GN. AAE consensus conference on diagnostic terminology: background and perspectives. J Endod 2009;35:1619.

2. Seltzer S, Bender IB, Ziontz M. The dynamics of pulp inflammation: correlations between diagnostic data and actual histologic findings in the pulp. Oral

Surg Oral Med Oral Pathol 1963;16:846-71;969-77.

3. Berman LH, Hartwell GR. Diagnosis. In: Cohen S, Hargreaves KM, eds. Pathways of the Pulp, 11th ed. St. Louis, MO: Mosby/Elsevier; 2011:2-39.

4. Schweitzer JL. The endodontic diagnostic puzzle. Gen Dent 2009; Nov/Dec. 560-7.

5. AAE Consensus Conference Recommended Diagnostic Terminology. J Endod 2009;35:1634.

6. American Association of Endodontists. Glossary of Endodontic Terms. 8th ed. 2012.

7. Glickman GN, Bakland LK, Fouad AF, Hargreaves KM, Schwartz SA. Diagnostic terminology: report of an online survey. J Endod 2009;35:1625.

8. Abbott PV, Yu C. A clinical classification of the status of the pulp and the root canal system. Aust Dent J 2007;52 (Endod Suppl):S17-31.

9. Jafarzadeh H, Abbott PV. Review of pulp sensibility tests. Part 1: general information and thermal tests. Int Endod J 2010;43:738-62.

10. Jafarzadeh H, Abbott PV. Review of pulp sensibility tests. Part II: electric pulp tests and test cavities. Int Endod J 2010;43:945-58.

11. Newton CW, Hoen MM, Goodis HE, Johnson BR, McClanahan SB. Identify and determine the metrics, hierarchy, and predictive value of all the

parameters and/or methods used during endodontic diagnosis. J Endod 2009;35:1635.

12. Levin LG, Law AS, Holland GR, Abbot PV, Roda RS. Identify and define all diagnostic terms for pulpal health and disease states. J Endod 2009;35:1645.

13. Gutmann JL, Baumgartner JC, Gluskin AH, Hartwell GR, Walton RE. Identify and define all diagnostic terms for periapical/periradicular health and disease states. J Endod 2009;35:1658.

14. Rosenberg PA, Schindler WG, Krell KV, Hicks ML, Davis SB. Identify the endodontic treatment modalities. J Endod 2009;35:1675.

15. Green TL, Walton RE, Clark JM, Maixner D. Histologic examination of condensing osteitis in cadaver specimens. J Endod 2013; 39:977-9.

Schlüsselwörter

Endodontie, Diagnostische Behandlungen und Untersuchungen, Pulpal und Periapikal Diagnose.

Share this